Eine Menschenmasse hat etwas Prickelndes, aber auch Gefährliches. Sie zieht die Einzelnen an und gibt ein Gefühl der Zugehörigkeit, sie kennt aber auch den Mitläufer. Die Menschenmasse begünstigt den Zug zum Massenmenschen, der seine Identität und Persönlichkeit verliert.
Nun tritt heute Jesus auf und >mitzogen mit ihm viele Leute< (25). Auch Schwärmerische und Verführbare hängen sich an Jesus. Sie wissen, „da ist für mich was drin, da geht was her, da schaut was raus für mich, da bin ich gleich dabei, nix wie hin, da lauf ich mit“. Der verständliche Wunsch nach Unterhalt und Unterhaltung hat Leuten immer schon Beine gemacht. Im alten Rom haben die Herrscher verstanden gehabt, dass das Volk Brot und Spiele wünscht und dann Ruhe gibt. So hält man es bei Laune und sich selber an der Macht. Verständlich, wie gesagt, aber gefährlich für die Menschen, für die Massen wie für die Mächtigen.
Im Gegensatz zu den Stars alter und neuer Zeit ist Jesus an Massen und Mitläufern nicht interessiert. Sie wollen sich auf seine Kosten billig bedienen, er aber will ihnen in echt und zu einem für ihn teuren Preis dienen. Er hat den Menschen im Blick. Darum >wendet er sich um und sagt ihnen< (25) scheinbar (!) nicht das Rechte. Er, dem eine graue Masse folgt, wendet sich an den konkreten Einzelnen. Auch Paulus macht sich in der zweiten Lesung die Mühe und schreibt einen Brief an einen Einzelnen, an Philemon. Jesus sagt: >Wenn einer zu mir kommt< (26) und mein Schüler werden will, dann soll er zuerst seine Hausaufgaben gemacht haben. Er soll gelernt haben oder lernen, ob er das rechte Maß an Nähe und Distanz gefunden hat zu Vater und Mutter, zu seinem Partner oder seiner Partnerin, zu seinen Kindern, zu seinen Brüdern und Schwestern, nicht zuletzt zu sich selbst. Ob der Abstand lebensförderlich ist, ob mit ihm auch die anderen selbständig werden können, ob er einen für alle hilfreichen Platz unter seinen Lieben eingenommen hat, das alles soll er lernen. >Wenn einer zu mir kommt<, dann soll er sich die Frage gefallen lassen: Was willst du? Was kannst du? Zu was bist du fähig? >Wenn einer zu mir kommt<, dann sage ich ihm: Du musst deinen Weg suchen und deine Lebensaufgabe finden, du wirst nicht fremdbestimmt bleiben, sondern selbständig werden, du musst, auch wenn’s schwer wird, durch, du sollst wissen, wer du bist und was du gelernt hast in deinem Leben. >Die Menschen lernten< (18), haben wir aus dem Buch der Weisheit gehört.
>Wenn einer zu mir kommt< dann muss er seine Hausaufgaben gemacht haben im Hinblick auf seine nächsten Angehörigen, >wenn einer zu mir kommt<, dann muss er um seinen Schwachpunkt wissen, um sein Kreuz, und an ihm arbeiten und sicher auch an ihm leiden. Denn wer um seine Schwäche weiß, sie „be-arbeitet“ und „er-leidet“, dem kann sie zum Segen und zum Heil werden, zum Glück und zum Erfolg. >Wenn einer zu mir kommt<, dann sieht er sein Hab und Gut so, dass er weiß, ob gut ist, was er hat.
Nun sagt aber Jesus wörtlich: >Wenn einer zu mir kommt und nicht hasst< oder abgemildert in der Übersetzung: >gering achtet<. Jesus will gehört und verstanden werden. Seine Wortwahl ist nicht weichgespült, sie ist drastisch und zugespitzt, ja überspitzt und ins Maßlose getrieben, jemand kann sagen: orientalisch übertrieben. Man kann sich an ihr verletzen. Jesus aber geht es um wirklich gelingendes Leben für jeden einzelnen Menschen in der Gemeinschaft mit ihm. Wer sich an seiner Tour beteiligt, der geht mit ihm über Stock und Stein, über Berge und durch Täler, der braucht einen breiten Buckel und ein tapferes Herz. Wie aber jeder Aufstieg Energie kostet, so bringt er auch Energie, kennt die Momente des Glücks und der Seligkeit, die Erfüllung. Weil Jesus am wahren Wachstum gelegen ist, verschweigt und erspart er Leiden nicht.
Jesus macht niemandem Konkurrenz und unterliegt keiner Konkurrenz. Sein Werben um den Menschen ist konkurrenzlos. Wer sich ihm anschließt, findet das Glück, wie er es bei niemandem sonst finden kann. Wer seine Beziehungen ordnet, wer seine Hausaufgabe gemacht hat und zu Jesus kommt, der kann sein Schüler werden. Statt Schüler steht freilich im Text ein anderes Wort: Jünger. Also: Wer wirklich hinter Jesus hergeht, der wird zwar auch täglich älter, aber eigentlich jünger. Jünger werden heißt das Programm.
Amen.
Weish 9, 13 – 19; Phlm 9b-10;121 – 17; Lk 14,25−33