
Enthüllendes Licht
Ansprache zu Darstellung des Herrn "Maria Lichtmess" (2. Februar 2025)
Lk 2, 22-40
Schön sind die Kerzen vor dem Altar aufgereiht, wie Strahlen. Der Bedarf für das kom-mende Jahr wurde vorhin hier gesegnet. Nicht nur sichtbares Licht sollen sie bringen, sondern auch und mehr noch Licht für die Herzen und Seelen.
Das Symbol "Licht" ist uns geläufig - Im Licht einer Kerze kommt uns kein grelles, blen-dendes, aufdringliches Licht entgegen, sondern sanftes, wärmendes, lebendiges Leuchten.
In einem poetischen Text spricht der alte Simeon dem Baby Jesus zu, dieses Licht zu sein: “ein Licht das die Heiden erleuchtet”: sanftes, wärmendes, lebendiges Licht.
Heiden waren nach damaligem Verständnis alle Nicht-Juden — also wir. Und Erleuchtung könnten wir manchmal schon brauchen: für die schwierigen Fragen in der Schulaufgabe oder Prüfung, in der Sorge, wie mit persönlichen und weltweiten Konflikten umgegangen werden kann, in den Unsicherheiten um Klima, Gerechtigkeit und Frieden in Deutschland und in der Welt und in vielem mehr.
In einer anderen Übersetzung (der von Fridolin Stier) klingt dieser Vers so: “Denn meine Augen haben dein rettendes Tun gesehen, das du bereitet hast vor aller Völkerstämme Angesicht. Enthüllendes Licht den Völkern”.
“Enthüllendes Licht” — man kann daran denken, wenn in einem dunklen Raum Licht angemacht wird, oder wenn ein Geschenk aus dem Geschenkpapier ausgewickelt wird oder wenn sich die Neben heben und die Landschaft deutlich wird — dann wird man-ches klarer sichtbar, Schönes und Erfreuliches und auch weniger Schönes, Enttäu-schendes oder Erschreckendes.
“Enthüllendes Licht”, in der lateinischen Vulgata steht da “re velatio” — “das Tuch weg-nehmen”. Durch Jesus wird enthüllt, wie Gott die Welt gemeint hat: die Schönheit der Schöpfung, die Liebe der Menschen, Hoffnung und Zuversicht, die uns tragen … In Jesus wird die-se Zuwendung und Größe Gottes sichtbar. Es wird aber auch sichtbar, wo etwas Gottes Sinn zuwiderläuft.
Daran scheiden sich die Geister. Nicht allen ist es angenehm, wenn ihre Motive und Pläne enthüllt werden — damals wie heute. Und nicht alle können es zulassen, dass Gott alle Menschen liebt und sich besonders der Schwachen und Armen annimmt.
Beides fällt auch uns manchmal schwer. Enthüllendes Licht bringt auch Schatten mit sich. Je stärker das Licht, desto deutlicher wird auch das, was wir vielleicht lieber im Dunkeln lassen würden. Enthüllendes Licht kann uns dazu bringen, alte Überzeugun-gen oder Gewohnheiten zu hinterfragen und neu zu denken.
Durch das Enthüllen der Wahrheit wird oft auch eine gewisse Freiheit gewonnen. Din-ge, die vorher verborgen waren, können nun verstanden und frei ausgedrückt werden. Oft gibt es erst, wenn etwas aus der Dunkelheit ins Licht gebracht wird, die Möglichkeit zur Heilung.
Unser Leben, unsere Anliegen und Fragen in das Licht Jesu zu stellen, an seinem Le-ben und seinem Wort auszurichten, führt hinein in dieses Licht. Das kann auch heraus-fordernd und schmerzhaft sein. Etwa so, wie wenn in einem dunklen Zimmer das Licht angeht und ich sehe, wie unordentlich es hier ist. Dann kann ich das Licht schnell wie-der ausmachen — oder anfangen aufzuräumen.
Letztlich ist Gottes Licht heilsam und heilend. Und, wie Simeon sagt, “rettendes Tun” Gottes. (V.30 in der Übersetzung F. Stier) — mit und durch dieses Enthüllende Licht Je-sus rettet Gott. Der Mut, etwas an Licht kommen zu lassen, nimmt oft mit den Lebensjahren zu. Gelas-senheit die Realität anzuschauen und Kraft und Zeit zum Beistand für andere sind oft im fortgeschrittenen Alter mehr möglich. Es ist kein Zufall, dass Simeon und Hanna, de-nen Maria und
Josef mit dem Baby Jesus im Tempel begegnen, alte Leute sind. Der greise Simeon nimmt das Licht der Welt liebevoll in seiner Arme und benennt zugleich die Schwierigkeiten, die er haben und machen wird.
Die 84-jährige Hanna sagt allen, die auf die Erlösung warten, wer dieser Jesus ist. Das kann Mut machen für alle im fortgeschrittenen Alter: Manches wird im Älterwerden weniger. Ein klarer Blick auf die Realität zusammen mit einer liebevollen Gottesbeziehung, Hoffnung auf die Erlösung und Vertrauen auf Gottes Heil kann immer noch wachsen und mehr werden.
Oft gibt es nach der Kerzensegnung in die Kirche hinein eine Prozession, bei der jede*r ein Licht trägt. Nicht nur sichtbares Licht soll das sein, sondern Leuchten in unsere Seelen hinein und Leuchten aus unseren Seelen hinaus in die Welt.
Göttliches Licht, das ich weitertrage für alle, die auf Lösung — Erlösung — warten.
Brigitta Neckermann-Lipp