„Als Kind hatte ich einen Freund, wir mochten uns und wir stritten und kämpften viel. Meine Mutter ermahnte mich, ihn nicht mehr zu schlagen. Einmal hatte er mir wieder irgendetwas angetan und ich zerrte ihn zu meiner Mutter und sagte zu ihr: „Jetzt schlag du ihn, ich darf ja nicht!“ Meine Mutter schaute uns an, nahm das Bonbonglas vom Regal und gab uns beiden je ein Bonbon. Ich war verblüfft und verärgert. „Warum tust du das?“, fragte ich. Sie sagte: „Weil ich euch beide gern hab.“
Diese Geschichte erzählte ein Exerzitienteilnehmer zur Bibelstelle: „Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten.“ (Mt 5, 45)
Finden wir das nicht oft ungerecht, dass die Sonne scheint über Bösen und Guten, der Regen fällt auf Gerechte und Ungerechte? Meinen wir nicht manchmal, Gott müsse mal richtig dreinschlagen? Und diese Sache mit „Liebt eure Feinde“ — ist das nicht eine schier unerfüllbare Herausforderung?
Ja, ist es. Trotzdem: wenn ich nur denen Gutes tue, die auch mir Gutes tun, nur denen gebe, die auch zurückgeben, nur denen verzeihe, die mir verzeihen …. Dann ändert sich nichts.
„Feinde lieben“ ist ein Ziel in der (weiten) Ferne, ein Fernziel. Und jeder Schritt in diese Richtung macht die Welt ein bisschen besser, z.B. im Streit der anderen die Möglichkeit lassen, ihr Gesicht zu wahren; nicht nochmal draufhauen, auch nicht verbal, wenn der andere schon am Boden liegt; noch einmal auf jemanden zugehen, auch wenn es mich nervt, dass wieder ich den ersten Schritt machen muss …
Dabei darf ich mich selbst ernst nehmen. Wenn meine Verletzung groß ist, gelingt es heute vielleicht nicht, auf den anderen zuzugehen. Aber diesem Ziel zuwenden kann ich mich. „Sich disponieren“ sagt Ignatius von Loyola: „sich ausrichten auf“.
Worauf richte ich mich aus? Auf welches Ziel gehe ich zu?
Vielleicht ist „Feindesliebe“ eine Nummer zu groß für mich, vielleicht ist sogar „Nächstenliebe“ heute eine Herausforderung. Aber wenn ich mich dahin ausrichte, geht jeder Schritt, den ich mache, in diese Richtung, auch wenn ich manche Umwege und Schleifen machen werde. Und schließlich wächst man an seinen Herausforderungen – auch im zwischenmenschlichen und spirituellen Sinn.
Es ist schon etwas gewonnen, wenn ich den Satz sagen kann, der verschiedenen alltagsnahen Theologen zugesprochen wird: „Lieber Gott, liebe du ihn:sie, weil ich kann es nicht.“ Das ist die Umkehrung der Bitte des Buben vom Anfang „Schlag du ihn“. Und passt so zum Faschingssonntag, an dem auch manches auf den Kopf gestellt wird. Stellen wir die Welt auf den Kopf, nicht nur im Fasching: nicht zurück schlagen, sondern zurück lieben.
Fröhlichen Faschingssonntag!
Brigitta Neckermann-Lipp
Referentin im Haus der Begegnung