Im Evangelium „Der Jüngling von Nain“ (Lk 7,11−17 sind auch Menschen miteinander unterwegs. Man könnte sagen, es sind zwei Züge, die sich vor den Stadttoren dort begegnen. Zwei Züge, die in entgegengesetzte Richtungen führen. Der Zug des Lebens führt in die Stadt Nain hinein. Es ist Jesus. Er ist nicht alleine unterwegs. Er wird begleitet von seinen Jüngern und vielen weiteren Menschen. Sie sind unterwegs, miteinander, voller Begeisterung, voller Erwartung, voller Energie.
Aus der Stadt heraus kommt der Trauerzug. Eine Witwe, die ihren einzigen Sohn zu Grabe tragen muss. Viele Leute aus der Stadt begleiten sie. Auch sie ist also mit anderen unterwegs. Ob es Menschen sind, die ihre Anteilnahme ausdrücken, ob es Menschen sind, die aus Neugierde dabei sind – wer weiß. Die Witwe hat nicht nur ihren Sohn verloren. Sie hat mit seinem Tod in gewisser Weise auch ihr eigenes Leben verloren. Sie hat keinerlei soziale Absicherung mehr. Ihr ganzer Halt, ihr Lebensinhalt ist mit einem Mal weg.
Nun kreuzen sich diese beiden Züge. Im Evangelium heißt es: „Als der Herr die Frau sah hatte er Mitleid mit ihr.“ Das ist der Wendepunkt. Jesus sieht sie – er sieht sie wirklich. Nicht als Teil einer Menge, nicht als eine anonyme Leidende, sondern als Mit-Mensch. Dieses Sehen ist mehr als nur ein Blick. Es ist ein Blick voller Mit-Gefühl, Mit-Menschlichkeit, voller Liebe. Jesus bleibt nicht auf Abstand. Er tritt heran, spricht sie an und sagt: „Weine nicht.“ Das ist kein billiger Trost, kein ‚Es wird schon wieder‘, weil man sonst auch nicht genau weiß, was man eigentlich angesichts des Todes sagen soll. Es ist ein Wort, das aus der Tiefe der göttlichen Liebe kommt. Ein Wort, das Hoffnung schafft, wo keine Hoffnung mehr ist.
Was kann das für uns heute bedeuten? Wir haben es oft nicht in der Hand, in welchem Zug sich unser Leben gerade einreiht. Aber wenn wir davon ausgehen, dass wir mit Jesus unterwegs sind, dass wir uns von ihm begeistern lassen dürfen, dann sind wir auf jeden Fall nicht alleine unterwegs, sondern immer mit Menschen. Dann beinhaltet das aber auch, dass wir diejenigen mit offenen Augen wahrnehmen müssen, die am Rand stehen, deren Leben gerade dunkel geworden ist. Und nicht nur wahrnehmen, sondern ihnen ehrlich und auf Augenhöhe begegnen. Dann geht es um nichts anderes als um die Liebe selbst, die die Mit-Menschlichkeit bewirkt.
Es ist die Liebe, die anzieht. Die Liebe, die uns untereinander miteinander verbindet. Sie ist es, die die Brücke baut zwischen dem Leben im Diesseits, über den Tod hinweg und dem Leben im Jenseits.
Was danach, also nach dieser Begegnung passiert, ist das Ungeheuerliche. Jesus berührt die Bahre, die Träger bleiben stehen und er spricht: „Jüngling, ich sage dir: Steh auf!”
Daraufhin richtet sich der Tote tatsächlich auf und beginnt zu sprechen. Wir wissen nicht was. Aber dann passiert etwas Entscheidendes. Jesus gibt ihn seiner Mutter zurück. Er gibt ihn in ihre Liebe und sie erhält dadurch selbst ihr Leben wieder zurück. Die Liebe überwindet sogar den Tod. Das, was Jesus tut, ist mehr als ein Wunder. Es ist die Verdeutlichung dessen, was Gott selbst ist: Er ist die Liebe. Da, wo wir meinen, es sei alles verloren und alles vorbei, da sieht Gott noch eine Zukunft.
Da, wo wir denken, dass die Liebe aufhört – beginnt sie in Wahrheit erst.
Der Tod hat in Jesus Christus Gott selbst getroffen. Und Gott hatte das letzte Wort.
Rebekka Redinger-Kneißl, Direktorin im HdB
mit einem besonderen Dank an Domkapitular und Dekan Heribert Schauer für die Inspiration


