Foto: Rebekka Redinger-Kneißl
Macht und Vergänglichkeit - so lautet der Titel der Ausstellung von Andreas Kuhnlein auf der Burghauser Burg anlässlich des 1000-jährigen Stadtjubiläums. Ludwig Raischl organisierte eine persönliche Führung mit dem Bildhauer, bei der die Teilnehmenden ganz besondere Eindrücke und Impulse zum Weiterdenken bekamen.
Andreas Kuhnlein ist wie ein alter Bekannter für das Haus der Begegnung. Steht doch seine Kairos-Figur im Innenhof und ist somit tagtäglich für jedermann sichtbar. Daher war es für den Unterwössener Künstler keine Frage als ihn Ludwig Raischl um eine persönliche Führung durch seine Ausstellung auf der Burg bat.
Rund 25 eingeladene Gäste, insbesondere Mitglieder der Mittwochsgemeinde, lauschen gebannt als Andreas Kuhnlein die Geschichte der Skulpturen erzählt. Macht und Vergänglichkeit sei seit über 30 Jahren ein Thema für ihn.
Aufgeteilt ist die Ausstellung in drei Bereiche in den unterschiedlichen Burghöfen.
Der erste Teil trägt den Titel “Weltliche Macht”. Dargestellt ist die Ehrerweisung bei der Hochzeit von Herzog Georg dem Reichen und Hedwig. Nur diese beiden Figuren sind neu für die Ausstellung angefertigt worden. Die übrigen stammen aus Kuhnleins Europaratsausstellungen Otto der Große (2001) und Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation (2006).
“Die Attribute und die Kleidung sind über das gesamte Mittelalter ziemlich gleich geblieben”, informiert Kuhnlein. So passen die Figuren gut in die Burghauser Zeitgeschichte, auch wenn sie ursprünglich für ein anderes Projekt bestimmt waren. Georg und Hedwig gegenüber stehend findet sich in der Mitte der Kaiser, links und rechts die Herzöge und auch eine klösterliche Frau. Es ist kaum anders als bei den royalen Hochzeiten heutzutage — ein Ausdruck von Kontinuität, Macht und öffentlicher Ehrerweisung.
Die Figuren sind wie für Kuhnlein typisch aus Harthölzern (Ulmen) mit der Motorsäge herausgearbeitet. Die Bäume stammen meist aus Windwurf oder sind solche, die aufgrund von Baumaßnahmen weichen müssen. “Wegen meiner Kunstwerke muss kein Baum extra sterben”, das ist ihm wichtig. Nach der Fertigstellung werden die Figuren nur noch kurz mit dem Bunsenbrenner bearbeitet, um etwaig überstehende Späne noch zu entfernen, sonst werden sie nicht weiter behandelt.
Die durch diesen Stil entstehende Zerklüftung bedeutet für den Bildhauer persönlich vor allem eins: Befreiung. Aber es bringt auch die Brutalität zum Ausdruck, die in jedem Menschen steckt. Da müsse man sich nichts vormachen. Es gibt aber auch die verletzbare und zerbrechliche Seite des Menschen, die hervorscheint. Und letztlich die zentrale Wahrheit unserer Existenz: die Vergänglichkeit.
Andreas Kuhnlein schmunzelt als er den Zuhörenden von seinem für ihn schönsten Erlebnis überhaupt berichtet: “88 Grundschüler waren bei mir zuhause am Hof. Dort im Stadel stehen mittlerweile über 400 Figuren. Und ein etwa 8‑jähriger Junge schaute sich das Ganze an und fragte auf einmal nachdenklich: ‘Wie viel Ster werden das jetzt wohl sein?’ Nach einem Moment des Lachens, überlegte ich und sagte, es werden wohl so 30 – 40 sein. Und vom Jungen kam prompt: Das hätte ich jetzt auch gesagt.”
“So unterschiedlich ist der Fokus eines jeden.” Und dann wird Kuhnlein ernst und meint: “Es wird so viel über junge Menschen geschimpft. Aber das stimmt nicht. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben zu hinterfragen, warum die Dinge, so sind wie sie sind. Und wenn nur das gelingt, dann bleibt auch Hammer und Spraydose weg.”
Der zweite Ausstellungsteil ist überschrieben mit Kirchlicher Macht und zeigt den Einzug der Bischöfe. Kuhnlein fasst noch einmal kurz zusammen, wie über viele Jahrhunderte kirchliche und weltliche Macht untrennbar zusammenhingen. Ursprünglich stammt die Figurengruppe aus der Europaratsausstellung die 2006 in Magdeburg und in Volterra, Italien zu sehen war. Dargestellt wurde damals die Krönungszeremonie Ottos des Großen. Die Ornate und Mytren der Bischöfe sind glatt. Das soll die Standhaftigkeit der Institution Katholische Kirche zeigen. Andererseits spiegelt sich in ihr aber auch die Starrheit wider, so haben Ornate und Mytren gleichzeitig etwas Erdrückendes an sich. Die Gesichter der Träger sind wieder zerklüftet, denn sie sind der Vergänglichkeit unterworfen. Der Rest wird sich Jahrhunderte halten und sei es als Ausstellungsobjekte in Museen.
Eine der Figuren wiegt etwa 80kg. Andreas Kuhnlein hat sie alle selbst mit der Sackkarre dorthin transportiert, wo sie noch bis 31.Oktober stehen werden. “Ich mag diesen Aufbau. Da brauch ich auch niemanden. Ich bin gern mit meinen Figuren allein.”
Zu den Bischöfen fällt Kuhnlein eine weitere Anekdote ein: Die Figurengruppe hätte neben anderen fünf Jahre lang Teil einer Wanderausstellung in den USA sein sollen. Er berichtet von großem Bürokratischen Aufwand für die Einfuhr seiner Skulpturen. Schließlich seien die Bischofsfiguren abgelehnt worden. Der Denver Airport hatte bedenken, dass Opfer des Ku-Klux-Klans sich dadurch getriggert und beleidigt fühlen könnten. Es sei schon interessant, wo die Grenzen gezogen würden, zwinkert der mehrfache Kunst- und Kulturpreisträger.
Der dritte und letzte Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit dem Alltagsbereich. Zu sehen sind Kaufleute, Bauern, aber auch die Gerichtsbarkeit und klösterliches Leben. Kuhnlein, der selbst eng mit dem Kloster Seeon verbunden ist, stellt die Bedeutung der Klöster im Mittelalter vor allem für den Bildungsbereich heraus.
Daneben gab es die Bauern und die Kaufleute, die zum Teil zwischen Kirche und weltlicher Macht zerrieben wurden. “Ich glaube, die hatten schon ein schweres Leben. Denken wir nur an die Abgabe des Zehnts.” Dargestellt etwas abseits ist auch die Gerichtsbarkeit. Da war man mitunter einfach hilflos ausgeliefert.
Dass dies keine Tatsache ist, die rein der Vergangenheit angehört, hat Kuhnlein in seiner Zeit an der Kunstakademie in Luoyang, China selbst miterlebt. Dort habe er die begnadetsten Bildhauer überhaupt kennenlernen dürfen. Aber alles Talent nützt nichts, wenn man das, was in einem steckt nicht frei sagen darf. Ihm sei täglich immer wieder bewusst, welches Geschenk es ist, in welcher Freiheit wir leben können. Das sei nicht selbstverständlich und es sei leider stark zu sehen, wie brüchig diese Freiheit ist.
So bleibt für Kuhnlein am Ende der Führung vor allem eine Botschaft: “Kunst ist immer ein gesellschaftspolitischer Auftrag. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, dass die Freiheit, in der wir leben, erhalten bleibt.”
Die Burg als Ort mit eigener Geschichte und eigenem Rahmen liegt Andreas Kuhnlein besonders am Herzen. “Hier kann jeder herkommen. Es ist nicht steril wie in einer abgeschlossenen Galerie, wo man sich als Normalsterblicher gar nicht reintraut.” Seine Figuren dürfen angefasst werden und machen so Kunst und Botschaft im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar.
„Kunst ist immer ein gesellschaftspolitischer Auftrag. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, dass die Freiheit, in der wir leben, erhalten bleibt.”


